Freitag, 26. Juli 2013

Hufrehe im Tierheikundezentrum

Ein ganz normaler "Hufrehe-Tag" im Tierheilkundezentrum


Früh morgens klingelt das Telefon, ich muss gleich raus zu einem Hufrehe Fall. 

Es sieht böse aus, das Pony leidet seit vielen Wochen an Hufrehe und inzwischen kann es sich kaum noch fortbewegen. Der Tierarzt hat bereits zur Erlösung geraten. Ich brauche überhaupt keine Untersuchung mehr einzuleiten, der erste Blick sagt bereits, dass es schlecht steht und die Hufrehe weit voran geschritten ist. Ich erkläre der Besitzerin des Ponys, was wir noch tun können, gebe ihr strikte Anweisungen, was die Haltung, Bewegung, den Hufschmied und die Fütterung betrifft. Stelle ein Rezept aus für homöopathische Mittel, lasse ihr Ergänzungen und Nehls Pony Futter zum Untermengen da und verabschiede mich mit den Worten, dass wir nun nur noch beten können, alle Möglichkeiten ausgeschöpft wären und mein Besuch nur eine Chance, kein Versprechen ist, dass ihr Pony wieder gesund wird und die Hufrehe überlebt.

Kaum zu Hause angekommen, höre ich den Anrufbeantworter schon piepen. 30 Anrufe, oh Gooottt, wann soll ich die denn alle beantworten? Ich höre erst einmal alle ab und sortiere aus nach Notfällen. Glücklicherweise nur einer, mal wieder... Hufrehe, hier rufe ich sofort zurück. Die anderen Rückrufe verschiebe ich erst einmal auf später und hoffe insgeheim, dass sich die Leute noch einmal melden, das würde mir viel Zeit ersparen. Der Notfall, wie soll es auch anders sein? Hufrehe! Eine Dame hatte Ergänzungen bestellt und fragt an, wann die Lieferung erfolgt. Ich erkläre, dass vor Morgen keine Pakete mehr rausgehen, ihres Morgen jedoch dabei wäre. Das Pony mit Hufrehe liegt aber nur noch, es geht ihm sehr schlecht, höre ich vom anderen Ende... 

Die Kräuter seien der letzte Versuch. Der TA hätte schon letzte Woche geraten, das Pony aufgrund der starken Schmerzen der Hufrehe doch endlich zu erlösen. Ich denke: wie immer, warum erst jetzt, warum haben Sie denn nicht schon eher einmal angerufen? Sie entscheidet sich, die Kräuterergänzungen abzuholen und nimmt dafür sage und schreibe 6 Stunden Fahrt auf sich, kommt aus Norddeutschland. Einige Stunden später steht sie vor der Tür und holt sich ihre Bestellung ab. Ich verabschiede mich mit den Worten:
Alles Gute, viel Erfolg, hoffentlich schafft es das Pony und überlebt die Hufrehe, ich drücke die Daumen.


Bevor ich mich in Ruhe den Haaranalysen widmen kann, muss ich jedoch zu meiner eigenen Beruhigung noch mal raus zu den Pferden und schauen, ob es ihnen auch wirklich gut geht. Ja, alles in Ordnung, alle grasen zufrieden vor sich hin und freuen sich, mich zu sehen. Noch nicht ganz im Haus bimmelt schon wieder das Telefon. So vergeht der restliche Tag, telefonieren, erklären und Haaranalysen ausarbeiten, immer wieder eine neue Herausforderung zwischen oftmals sehr belastenden Telefonaten mit weinenden Tierhaltern und dann wieder konzentrierter Arbeit: der Ausarbeitung von Haaranalysen. Irgendwie gelingt es mir jedoch inzwischen ganz gut.

Abends dann, wenn alle Arbeiten erledigt sind, kommen manche Gespräche zurück und ich denke darüber nach, ob ich wirklich alles getan und gesagt habe, um zu helfen. Ja, das habe ich, mehr kann ich nicht tun, was der Tierhalter daraus macht, muss er selbst entscheiden, sage ich mir. Meist werden Ratschläge umgesetzt, manchmal jedoch wird mir erklärt, dass die Hoheit Tierarzt eine ganz andere Meinung hat. Oft denke ich dann, wie in der Schwarzwaldklinik, der Herrgott in weiß hat gesagt... Ich mag es überhaupt nicht, wenn der Tierhalter seine komplette Verantwortung ablegt und in die Hände eines anderen, in diesem Falle des Tierarztes legt. Wichtig ist doch immer, selbst mitzudenken, abzuwägen, Verantwortung zu tragen für das geliebte Tier und sich nicht zur Marionette zu degradieren, entgegen des Verstandes, der uns Menschen doch bewusst sein sollte! Ich mag nicht dagegen reden, wenn ich merke, ich bin eher Telefonseelsorge für den Menschen, als dass er mich anruft, damit ich seinem Tier wirklich helfe. Manchmal überkommt mich der Eindruck, es geht nicht darum, dem Tier zu helfen, sondern dem Menschen zuzuhören. Hierfür bin ich jedoch nicht da, ich verstehe meine Arbeit, den Tieren zu helfen, nicht dem Menschen Zuhörer zu sein, der letztlich nur reden, nicht wirklich helfen möchte... Beispiele gäbe es viele... Eines von heute war wieder besonders krass: Vor ca. 14 Tagen rief mich eine besorgte Pferdehalterin an, die mir eindeutig eine Hufrehe schilderte. Der behandelnde TA hatte geröntgt, kam zu keiner Diagnose und tippte auf Hufgelenksentzündung per Verdacht, da sich nichts feststellen ließ, Hufrehe schloss er aus. Für mich war die Schilderung am anderen Ende der Leitung jedoch eindeutig eine akute Hufrehe, hier konnte ich kaum danebenliegen, da sowohl Vorgeschichte wie auch Symptome eindeutig der Hufrehe zuzuordnen waren. Dass am Röntgenbild noch keine Veränderungen erkennbar waren, war also ein Glücksfall, der bei Hufrehe nicht die Regel ist, aber immerhin vorkommt. Nicht immer rotiert oder senkt sich das Hufbein bei Hufrehe. Ich erkläre der Dame ausgiebig Zusammenhänge der Hufrehe, weitere Kostenersparnisse durch ergänzende tierärztliche Untersuchungen, die angedacht, meiner Meinung aber zu keinem Ergebnis führen können und erkläre ihr umfassend, wie sie ihrem Pferd meiner Erfahrung nach bei Hufrehe helfen könne. Auch erklärte ich ihr die Konsequenz ihrer Haltung, ihr Pferd laut Anweisung des Tierarztes weiterhin auf der Weide zu belassen, Kraftfutter zu füttern usw., was eine Hufrehe fördert. Obwohl mir die Zeit fehlt, telefoniere ich lange mit ihr, weil es mir mehr als nötig erscheint, wenn dieses Pferdeleben weiter bestehen soll und ich mit meiner „Ferndiagnose der Hufrehe“ richtig liege. Ganz zu überzeugen war sie jedoch nicht. Letztlich bestellte sie dann bei mir die empfohlenen Produkte für Hufrehe. Zu diesem Zeitpunkt sah ich das Gespräch jedoch bereits als gescheitert an, da die Dame nicht überzeugt war von dem, was ich sagte und weiterhin eine Hufrehe ausschloss. 
Da mir nichts mehr zuwider ist, als irgendjemandem irgendetwas aufzudrängen, sage ich, sie solle sich noch einmal überlegen, ob sie meinen Empfehlungen bezüglich der Hufrehe ihres Pferdes folgen möchte und könne dann gerne nochmals anrufen. Nein, das wollte sie aber auch nicht! Ich möge jetzt doch bitte ihre Bestellung aufnehmen und per Nachnahme umgehend verschicken. Gut, Bestellung aufgenommen. Irgendetwas warnte mich jedoch davor, die Bestellung sofort fertig zumachen und zu verschicken. Auch fehlte mir wie immer die Zeit, alle Mitarbeiter hatten bereits Feierabend und ich war alleine. Mein Gefühl sollte mich nicht trügen: ca. 3 Stunden später, inzwischen war ich bereits wieder unterwegs beim nächsten Hufrehe Patienten, rief sie erneut an und stornierte ihre Bestellung. Nicht, ohne umschweifende Erklärungen abzugeben, auf die ich jedoch nun wirklich keine Lust mehr habe! Ich beende kurz und schmerzlos das Gespräch, Hopfen und Malz sind eh verloren, wie man so schön sagt und mein vierbeiniger Patient, der Wallach Ron mit Hufrehe, wird auch bereits ungeduldig. 
Genau diese Frau ruft heute wieder an, nachdem sie vor 14 Tagen ihre Bestellung stornierte und fragt, wann denn nun ihre Bestellung geliefert würde, die sie gestern erneut im Internetshop aufgegeben habe. Sie habe extra per Nachnahme bestellt und fragt, ob das Paket denn heute ankommt. Ich denke, das arme Pferd, ihm geht’s also noch immer nicht besser, 14 Tage ist es nun her und seither quält es sich mit Schmerzen aufgrund seiner Hufrehe. Inzwischen waren selbst Pferdehalterin und TA überzeugt, dass es sich nur um eine Hufrehe handeln konnte... Ich sage, das Paket hat gestern unser Haus verlassen und müsse demnach erfahrungsgemäß heute bei ihr eintreffen, suche schnell die Paketnummer raus und teile sie ihr mit, wie auch die Telefonnummer vom Deutschen Paketdienst, damit sie nachfragen kann.

Was nun aber kommt, habe ich auch noch nicht erlebt. Aus internen DPD Gründen kann das Paket nämlich nicht heute zugestellt werden, der LKW kann nicht abgeladen werden aufgrund von Verkehrsstaus, das heißt, das Paket kommt heute nicht mehr an. Dieser Umstand kostet mich mindestens 2 Stunden Zeit in Folge, da die Dame noch mehrmals anruft und mir Vorwürfe macht, ich hätte Fehler bei der Adresseingabe gemacht, sie telefonierte auch mehrmals mit DPD, fuhr zu ihrem DPD Depot hin und verlangte die Herausgabe des Paketes. DPD wiederum meldet sich bei mir und fragt an, ob wir eine Expresslieferung für Morgen einleiten können, der Mitarbeiterin von DPD tat die Dame so leid, sie hätte so über den schlechten Zustand ihres Pferdes mit Hufrehe geklagt... Nein, können wir nicht, die Fahrer sind bereits wieder weg und kommen nur einmal täglich Pakete bei uns abholen. Wir einigen uns, dass die DPD Mitarbeiterin noch einmal bei der Pferdehalterin anruft und sie beschwichtigt. Denn, der ganze Aufstand nutzt wenig, das Paket befindet sich auf dem LKW, der nicht abgeladen werden kann und wird nun heute nicht mehr geliefert werden können. Nichts desto trotz rief die Pferdehalterin erneut bei mir an und beendete das Gespräch mit den Worten: Am nächsten Tag wäre dann eben aber keiner da, um das Paket anzunehmen und sie würde es dann wieder zurückgehen lassen. Ich denke, o. K., dann machen wir es so, kein Problem. Es ist ihr Pferd, was an Hufrehe erkrankt ist, nicht meines, sie schadet nicht meinem Pferd, sondern ihrem eigenen... Das sage ich natürlich nicht laut, sondern: Kein Problem, lassen sie das Paket einfach wieder zurückgehen.
Welch ein Ärger denke ich und versuche, mich nicht aufzuregen...
Das Paket wurde dann selbstverständlich doch angenommen und ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört. Generell ein gutes Zeichen, was dafür spricht, dass es dem Pferd wieder gut geht und der akute Hufrehe Schub ausgeheilt ist.



Schon früh am Morgen weckt mich das Telefon. Noch ganz benommen nehme ich den Hörer ab und sage Tierheilkundezentrum Nehls. Am anderen Ende höre ich ein schluchzen und eine ganz zarte Stimme. Ich schnappe eher einige Wörter auf, als dass ich sie verstehe, Worte werden immer wieder durch Tränen erstickt. Ich versuche, erst einmal zu beruhigen und ordne nebenbei die Wortfetzen, die ich aufschnappe in meinem Kopf zu einem Puzzle. Es geht um ein ganz altes Pferd, was an Hufrehe erkrankt ist und sich in einem ganz schlechten Zustand befindet. Ich sage, o. K., am besten komme ich gleich vorbei. Ich fahre los und habe im Kopf schon ein richtiges Szenario, was mich wohl hier erwarten wird. Ich treffe am Stall ein und weiß, dass das Szenario in meinem Kopf nicht untertrieben war. Vor mir liegt eine ausgezehrte alte Stute, Verbände an den Hufen, schmerzvoller leidender Blick. Der Stall ist desolat, die Besitzerin komplett mit der Situation überfordert. Die Stute liegt, schaut mich mit leerem Blick an. Ich streichele ihren Kopf, schaue sie an, sehe diesen leeren Blick, der sagt, hilf mir, beende bitte mein Leiden, schnell und schmerzlos. Ich nehme die weinende Besitzerin in den Arm, sage ihr, wir müssen ihre Stute erlösen, jetzt und sofort. Tierliebe bedeutet auch, loslassen, sich trennen zu können. Lassen sie los, ihre Stute kann und will nicht mehr, schauen Sie sie an. Sie weint, aber versteht. Ich bleibe bei ihr, bis der Tierarzt eintrifft, der die Stute erlösen wird.

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